Der Künstler Winfried Schmitz-Linkweiler

Ein persönlich-subjektives Netz der Wirklichkeit über der Zeit

Die Kraft der Kunst Winfried Schmitz-Linkweilers lässt den Betrachter auch dann nicht im Stich, wenn die Zeit existenziell schwer ist. Sie mag sich in die Richtung „tröstlich“ zu wandeln, bleibt jedoch stets verlässlich in ihrer Magie. Die Bilder und Objekte des Meerbuschers sind, jedes für sich, belastbar wie ein gelungenes Gedicht, treffen spürbar zu und fordern heraus. Fertig wird man mit ihnen nimmer, weil sie ihr Geheimnis für sich behalten. „Geheimnis“ ist der Begriff, mit dem ihnen nahe zu kommen ist. Aber er markiert auch die Grenze des Begreifens. Es geschieht keine Epiphanie. Auf die göttliche Offenbarung warten wir vergebens. Doch finden wir uns mitten in unserer diffusen Sehnsucht. Das Oeuvre Schmitz-Linkweilers ist daher auf spannende wie auch entspannende Art und Weise hochspirituell. Es scheut kein Paradoxon.

Ein Sammler ist er, der 55jährige. Sammelt Detail für Detail seiner „Lebensinstallation“: Material zur Schöpfung von ungewöhnlichen Zusammenhängen. Unermüdlich entwirft er Ordnungen und daraus wieder übergeordnete Ordnungen, zündet „atomare Impulse“, die dann eigendynamisch wie Wurmlöcher in verrätselt schillernde und ebenso konkret wie auch irrational anmutende Paralleluniversen entführen. Die ständigen Umwälzungen im Gesamtprozess erzeugen Rückwirkungen auf die Einzelarbeiten. Auch wenn sie das Atelier bereits verlassen haben, verkauft sind. Alles steht mit Allem in Verbindung als persönlich-subjektives Wirklichkeitsnetz über der Zeit.
Auch wenn der Künstler selbst einmal nicht mehr ist, wird der Umwälzungsprozess seine Lebendigkeit, seine Form-, Trost- und auch Heilkraft aus den Bezugsetzungen der aktiven Betrachter in fortwährend oszillierenden, sich ver- und entzerrenden Zeitläufen beziehen. Diese Epigenetik des Schöpferischen spart ihrer Natur gemäß nicht mit Überraschungen und Unvorhersehbarem: Wiedergängerhaftes, pulsende Blutzirkulation des Werkes an sich, Transformationen und Mutationen. All dieses organisch Streuende der Kunst wird in sehr spezieller Deutlichkeit bei Winfried Schmitz-Linkweiler, der auch im kunstpädagogischen Metier arbeitet, in seiner strukturellen Vielfalt fein ziseliert wie pointiert zum Anschaulichen.

Der politisch als Ratsherr der Meerbuscher Grünen-Fraktion aktive ehemalige Schüler des Aachener Kunsthochschulprofessors Rudolf Schönwald besticht mit einer virtuos beherrschten Spannbreite von äußerst filigran ausdifferenzierten Ausdrucksmöglichkeiten, die ihresgleichen sucht. Wissend darum, dass eine so derart subtile bis traumwandlerische Mehrschichtigkeit mit nicht ungefährlichen stilistischen Gratwanderungen verbunden ist, verliert Winfried Schmitz-Linkweiler in dem beachtlichen Spektrum nie die Integrität der ihm eignenden Handschrift aus den Augen. Sie ist ihm sein eigenes Qualitätskriterium, passiert ihm aber auch wie selbstverständlich einfach aus Erfahrung heraus beim Zeichnen, Drucken, lasierenden Malen, verstörenden Verfremden fotografischer Arbeiten – all dies als beständige Evolution von Automatismen. Dabei sind einzigartige Techniken entstanden, über die sich der Künstler in Schweigen hüllt.

Bei einer jeden schöpferischen Arbeit sind der Zufall und sein Mitwirken ihm ausdrücklich willkommen. Bei so manchem Ablauf tritt der leidenschaftliche Hobbytrommler in Absenz, nahezu völlig in den Hintergrund und begnügt sich mit Funktionen fast meditativ-absichtslos kontrollierender Instanz. So schätzt er es, sich immer neu überraschen zu lassen von seinem Spiel mit der Witterung und der Zeit, indem er zum Beispiel begonnene Werke für einige Tage auf den Balkon hängt. Sehr dramatische Richtungsänderungen, geradezu unverhoffte Geschenke können die Folge sein; obskure, gewöhnungsbedürftige Verästelungen fordern nicht auf der Stelle sofortige Entscheidung, sondern die behutsame Weiter-Entwicklung der Geduld mit dem Fremden in einem selbst.

Der Zufall und das entschiedene Handeln stehen keineswegs diametral entgegengesetzt zueinander. So verlangen Unbilden der Zeit ständig nach Anpassung. Gern und viel zu oft wird übersehen, wie gerade die professionelle Kreativität harten Mechanismen des Marktes unterworfen ist. Schmitz-Linkweiler reagiert seit etwa 2004 mit einem deutlich höheren Ausstoß auf das ständige Umschlichenwerden durch diverse existenzielle Bedrohungen. Die Formate sind kleiner bis kleinst, ihre Menge ist eruptiv. Dass eine derart hochkonzentrierte Arbeitsdisziplin all ihre stetigen Einflüsse auf den Werkcharakter geltend macht, es versteht sich von allein. Kraft, Aggression, Weitblick und Tiefgang gerinnen im Zusammenwirken gewählter Farbtöne zu höchst erstaunlichen Preziosen seiner Selbstbehauptung versus Verzweiflung. Im Wesen also vorbildlich.

Nebenbei räumt der Künstler so mit dem Vorurteil auf, die Anpassung habe etwas mit einer Selbstaufgabe zu tun. Postkartengroße Zeichnungen, stilsicher und sehr pointiert mit Kugelschreiber und Tipp-Ex in Szene gesetzt, skurrile, höchst wissenschaftlich anmutende Schaukästen, worin das Gesammelte mit dem Zurhandenen eine Allianz Respekt fordernder Systematik eingeht, Fotoüberarbeitungen im Miniaturformat, die in den verschwimmenden Grenzzonen zwischen der David-Lynch-Süße kitzliger Abstraktion und der Radikalität von Fremd-Gegenständlichem sehr an den großen „dadamax“ Ernst erinnern, serielle Kunst, das Skulpturale und in irritierendste Prachtmacht Versetzte sind Zeugen begnadeter, geradezu schlafwandlerischer Begabung. Da verschafft sich die substanzielle innere Größe aus einem winzigen Rahmen heraus eben die betörenden Aufmerksamkeitsräume, die ihr sehr zu Recht gebühren. Im einenden Tun aber bleibt der spezifische Stempel fürderhin das Geheimnis, das sich nicht weiter eröffnet, das aber diese ahnenden Aspekte adelnd in Gültigkeit setzt.

Zuhandenes, wie die kleinen Trouvaillen, die sonst niemand beachtet, Fetzen, Fragmente, Ausschnitte, Textzeilen, Trockenbrot und, ja, Schrumpelinsekten hat er mehr als je zuvor. Er fügt sie stets zu etwas aufs merkwürdigste wertvoll Erscheinendem, was dem Betrachter wie eine unaufdringliche Schule des Sehens zugute kommen mag. Ebenso verhält es sich mit der Erfahrung des Gralssuchers Schmitz-Linkweiler, die so gesammelten Augenblicke wie der Mittelalter-Alchimist miteinander in starke Zauberschwingungen zu versetzen, sie in flirrend-faszinierende Schwebezustände des Herausgehobenseins zu de-komponieren und miteinander reagieren zu lassen, so dass sie - nunmehr aus ihren bis dahin für gültig befundenen Bezugssystemen herausdestilliert und befreit - schlussendlich eingehen in die Kunst als eine vibrierende Aura reiner Poesie.

Manfred Bade